Restselbstbild

Die Haut

 

Und ich bemerkte, dass ich meine Haut gar nicht bewegen kann. Nur indirekt kann ich es, mit den Muskeln. Meine Haut macht das, was ich so schlecht kann. Sie nimmt wahr, bedingungslos.

Ich  habe nichts, das so bedingungslos wahrnehmen kann wie meine Haut.

Selbst im Darm, wo ich doch ziemlich ausgeliefert bin, habe ich noch das Gefühl ich könne, wenn ich nur wolle, stärker oder schwächer verdauen. Aber auch den Darm spür ich über meine Haut, die Darmhaut eben, und das genau so bedingungslos. Nur meine Knochen spür ich nicht. Gut höchstens die Gelenke rundherum, und dann auch nur wieder ihre Haut.

Könnte es nicht sein, dass sich eine ganz, ganz feine Haut auch durch meine Knochen zieht?

Entlang jedem einzelnen Knochenplätchen, gespannt wie eine feine Tapete, in hunderttausenden von Hallen, tief im Knochenmark?

Die Anthroposophen sagen, dass das Wahrnehmen über Nerven geht und Oberpolig ist.

Doch dieses Bild passt nun wirklich gar nicht zu meiner Haut! Und wie ich mich spüre, nämlich hautig, bis tief in meine Knochen rein.

Seh ich eine Haut, denk ich an weisse Leintücher flatternd im Sonnenwind, der Luft jeder Bewegung folgend.

Seh ich aber Nerven,
da seh ich einen Baum, und diesen erst noch splitternackt im Winter regungslos da stehen.

Da tauchte bei mir das Bild einer Holunderblüte auf. Der Blütenteppich an einem Stängel, dann verzweigt in zehn oder mehr. Dort  das gleiche wieder, bis sie findet ihre Form.

Und ich sah über die Äussersten Enden gespannt ein Tuch;

Meine Haut.

Copyright 2003 by Michael Mayer